G E S T A L T E N V E R Z E I C H N I S

Beitrag für das Buch VAGABONDAGE. Historische und zeitgenössische Facetten des Vagabundierens in Wien

Hg. von Eva Schörkhuber und Andreas Pavlic

Sonderzahl, 2022

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Va · ga · bon · da · ge: Der – laut Duden – spezifisch österreichische Ausdruck benennt die Lebensform einer Gruppe sozial bestimmter Figuren, oder kurz: Landstreicherei, Herumtreiberei. Im vorliegenden Band fokussiert der Begriff vor allem die künstlerischen und politischen Aspekte jener Bewegungen, die sich in den 1920er Jahren mit großem Selbstbewusstsein formierten und sogar »Vagabundenkongresse « abhielten. Ein solcher war, nach einer ersten Veranstaltung in Stuttgart 1929, für das Jahr 1930 auch in Wien geplant, wurde allerdings nicht realisiert. Wien, als eines der Gravitationszentren der Landstreichenden, bildet den Ausgangspunkt und den Schauplatz einer eingehenden Untersuchung von Vagabund*innenbewegungen. Dabei werden historische und kulturwissenschaftliche Perspektiven mit zeitgenössischen Analysen, Stellungnahmen und Berichten verschränkt: Auf diese Weise werden Brüche und Kontinuitäten hinsichtlich sozialer Mechanismen, künstlerischer Ausdrucksformen und politischer Organisationsformen ausgelotet und zur Sprache gebracht. Der Band stellt dabei sowohl einen Grundlagenbeitrag als auch eine zur weiteren Forschung anregende Anthologie dar.
 
Wie facettenreich und vielschichtig jene Bevölkerungsgruppen sind, die als Vagabund*innen, als ›Nicht-Sesshafte‹ und / oder Wandernde tituliert werden bzw. sich selbst als solche bezeichnen, zeigt sich in den historischen und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen ebenso wie in dem Kaleidoskop zeitgenössischer Initiativen, Bewegungen, Forschungs- und Kunstprojekten, die sich mit Systemen sozialer Beziehungen befassen, die außerhalb einer etablierten gesellschaftlichen Ordnung angesiedelt werden.
 
Mit Beiträgen von: Averklub Collective, Lisa Bolyos, Ljubomir Bratić, Natalie Deewan, Enesi M., Georg Fingerlos, Peter Haumer, Anna Leder, Alexander Machatschke, Elena Messner, Andreas Pavlic, Maren Rahmann, Georg Rosenitsch, Eva Schörkhuber und Christa Stippinger.

 

 

Buchpräsentation am 8. Juni 2022 im Literaturhaus Wien mit dem "Jahrmarkt der Gestalten":

jahrmarkt 1 jahrmarkt 2 Foto: Heinz Steinböck

Die beiden Herausgeber:innen Andreas Pavlic und Eva Schörkhuber stellen das Buch und seine Entstehungszusammenhänge vor. Natalie Deewan veranstaltet einen Jahrmarkt der Gestalten (nach Angelika Kopecný) und Anna Leder liest ihr Epos über eine zeitgenössische Heldin, die als 24-Stunden-Betreuerin tätig ist. Moderation: Andreas Pavlic und Eva Schörkhuber

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Das Gestaltenverzeichnis basiert auf einer Lektüre des Buches „Fahrende und Vagabunden“ von Angelika Kopečný, erschienen 1980 im Berliner Wagenbach Verlag. Das Verzeichnis versammelt 86 verschiedene Personenbezeichnungen, die in diesem Text vorkommen: von Vagabunden und Vagantinnen, Quacksalbern und Wahrsagerinnen, Hungrigen und Verzweifelten, über fahrende Frauen und fliegende Händler, Flickschuster und Marketenderinnen, Spitzbuben, Seiltänzer und Artistinnen, Zahnbrecher, Lotterpfaffen und Possenreißer, Hundefänger, Saujäger und Bärenführer, bis hin zu Falschspielern und Urinbeschauern u.a. verdächtigen Subjekten und potentiellen Kriminellen.

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Als Intro dient ein Zitat von Seite 92, in dem der „berühmte ‚Wiener Schubb’“ beschrieben wird, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte:

Zweimal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, kommt ein weiterer großer Schub hinzu: Österreich weist seine Vaganten aus (der berühmte "Wiener Schubb“), Bayern schiebt sie dann weiter über die Grenze nach Schwaben, wo sie sich dann verlaufen.

Das Wort „Schub“ bezeichnet im Grimm’schen Wörterbuch u.a. die fortschaffung von übelthätern, verdächtigen, paszlosen, armen in ihre heimat oder ein anderes gebiet“, es wird der „schub von gefängnisz zu gefängnisz, bis nach Hinterindien“ erwähnt. Auch das davon abgeleitete Wort „Schübling“, das 1999 nach dem Erstickungstod des Schubhäftlings Marcus Omofuma wieder auf Titelseiten auftauchte und sogar zum Unwort des Jahres gewählt wurde, bezeichnet bereits bei Grimm & Grimm nicht nur eine Wurstsorte, sondern auch eine „verdächtige person, die an ein anderes gericht, eine zuständige behörde überwiesen, in die heimat, über die grenze befördert wird“.

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Im Gestaltenverzeichnis kommen zwei unterschiedliche Schriften zum Einsatz:

Drunken Serif – Billy Snyder (USA) veröffentlichte diesen handgeschriebenen Font 2015 und merkt dazu an: Drunken Serif is a handwritten style Serif font I drew up while just a wee bit intoxicated. Please type responsibly. :)“

heterotypia sign vienna – diese Schrift versammelt rund 180 nicht-buchstäbliche, grafische Zeichen aus dem Wiener Stadtraum der Jahre 2018/19. Die einzelnen Zeichen sind jeweils einem Buchstaben zugeordnet. Frei downloadbar unter: http://heterotypia.net/graffitirecycling.html

 

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aus: Angelika Kopečný: "Fahrende und Vagabunden", Wagenbach Verlag, Berlin, 1980, passim.

 

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