Lebenslaufmaschenvorhang und Textfeldstudie 3 / suche: orient
Entwurf für einen Beitrag zu einer Veranstaltung im Carl Goldmark Museum in Deutschkreutz, Burgenland,
anlässlich des 190. Geburtstags des Komponisten Carl Goldmark (*1830 in Keszthely/Ungarn +1915 in Wien)
initiiert und geplant von Beatrice Simonsen / Kunst und Literatur
(Projekt nicht realisiert, Veranstaltung nicht durchgeführt)
Das Carl-Goldmark-Museum in Deutschkreutz präsentiert in drei Räumen Leben und Wirken eines heute vergessenen, aber zu Lebzeiten sehr populären Komponisten der Ringstraßenzeit, zu dessen bekanntesten Werken die 1875 in Wien uraufgeführte Oper "Die Königin von Saba" zählt.
Im zweiten Raum befindet sich eine riesige, hinterleuchtete Kopie des Gemäldes "Ein Abend bei Johann Strauss", das Adele Strauss 1894 als Geschenk für ihren Mann zum 50jährigen Bestehen der Strauss-Kapelle in Auftrag gab. Carl Goldmark sitzt hier, in der Mitte des Gemäldes, an der Seite von Johann Strauss, umgeben von lebenden (Johannes Brahms) und toten (Beethoven) Musiker-Kollegen, Kritikern und anderen Gästen des Salons von Adele Strauss, die stehend hinter Johann Strauss abgebildet ist:
Bei der Überlegung, wie denn mit all den vielen Lebensläufen, die sich in Deutschkreutz verzweigen, wieder verlaufen oder jäh abgeschnitten werden, umzugehen wäre, kam mir kam ein Muster in Erinnerung, das Lebenslaufmaschengitter, das viele offene Fragen aufnimmt und doch auch ein Rätsel bildet:
"QUID HOC EST?" fragt die Königin von Saba und "die für einen Frauenmund wenig ziemenden Rätsel, welche die Königin hierauf vorbringt, mögen in der Übersetzung Lightfoots folgen:"*
Dicit ea: Quid hoc est? Septem exeunt, et novem intrant. Duo miscent, et unus bibit.
* aus: Die Rätsel der Königin von Saba, von Wilhelm Hertz, hg. von Friedrich von der Leyen, 1905
Auch das CURRICULUM VITAE, kurz: CV, spricht Latein. Manche der Lebensläufe erfahren einen Bruch. Erst einen leichten, einstrichigen Bruch, das C=Curriculum, der Lauf gerät ins Stocken. Beim zweiten, gravierenderen, zweistrichigen Bruch stoppt der Lauf des Lebens, V=Vitae, ganz. Farblich lehnen sich die Querbalken der VACAT-Zeichen an die Pastellfarbenrobe der Strauss'schen Damen an.
Der Lebenslaufmaschenvorhang legt einen Schleier über die prominente Herrenrunde und kann u.a. als Hintergrund für in den Vordergrund tretende Frauenbiografien* etc. genutzt werden.
* Gedacht war an die Recherche (> B. Simonsen) der Biografien von 8 Zeitgenossinnen Goldmarks, die die 8 rein männlichen Zeitgenossenbiografien an der Wand gegenüber ergänzen sollten. Z.B. die Pianistin und Sängerin Karoline Bettelheim, die auch eine Schülerin Goldmarks war, u.v.a.m.
Bei der Recherche stieß ich weiters auf Goldmarks uneheliche Tochter Wilhelmine Benel, "Minnerl", die Goldmark mit seiner Haushälterin Maria Benel hatte, welche mit 27 Jahren an Lungentuberkulose gestorben ist, als ihre Tochter gerade 5 Jahre alt war. Was ist mit der Tochter weiter passiert? War sie in einem Waisenhaus?
Im ganzen Museum kommt "sein geliebtes Minnerl" nicht vor. Auch in der Goldmark-Biographie von Johann Hofer findet sich nur ein kurzer Eintrag zu ihrer Geburt und einige Erwähnungen später, wie sehr er sich bei seiner Tochter und den Enkeln wohlgefühlt hat.
Als seine Tochter allerdings klein war, kommt sie in seiner gesamten Familienkorrespondenz nicht vor, gegenüber Freunden hat er die "Affäre" und seine daraus stammende Tochter verheimlicht. Bei einer Beschäftigung mit "Fehlstellen" gehört diese "Auslassung" sicherlich benannt.
Ein geeigneter Ort dafür wäre evtl. die Familienwand im ersten Raum, der sich der ungarisch-jüdischen Kindheitsgeschichte Goldmarks widmet. Zwei Wasserhähne stehen da ganz unmotiviert aus der Wand heraus, direkt neben den Elternmedaillons. Jetzt ist klar, wofür sie da sind!
(Skizze)
Der dritte Raum beschäftigt sich mit den Kompositionen Goldmarks, darunter der berühmten Oper "Die Königin von Saba" nach einem Libretto von Salomon Hermann Mosenthal, die als "Paradebeispiel des durch Edward W. Said definierten Orientalismus [gilt], der den Orient als eine in der westlichen Kultur erfundene imaginäre Gegen-Welt darstellt, die in erster Line als Bestätigung der eigenen, westlichen Überlegenheit dient. Zum einen wird das Fremde zur Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte stilisiert, zum anderen wird der Orient als kulturell rückständig und auf einer ursprünglichen Stufe stehend betrachtet, was ihn allerdings auch interessant für historische Studien macht."
aus: Anita Mayer-Hirzberger: „...wieder einmal eine ‚biblische’ Oper“. Goldmark / Mosenthals „Die Königin von Saba“ im Orientdiskurs zur Zeit der Wiener Premiere, in: Die Bibel in der Kunst/ Bible in the Arts Online-Zeitschrift 1/2017,
In Anlehnung an die Textfeldstudie 1 / suche: sondern bzw. Textfeldstudie 2 / suche: denke entstand die
Textfeldstudie 3 / suche: orient.
Bildhintergrund ist eine Skizze zum Bühnenbild der Aufführung der "Königin von Saba" im Jahr 1875 in der k & k Hofoper in Wien von Carlo Brioschi.
Nachdem die 2006/7 neu gestalteten Museumsräume eine temporäre Installation eines Vorhangs wohl nicht zulassen würden, müsste eine andere Lösung gefunden werden.
So könnten die beiden Ausstellungsbeiträge zB auf Staffeleien den jeweiligen Exponaten für die Dauer der Veranstaltung beigestellt werden:
Raum 3:
Raum 2:
... wie sie etwa in der Eisenhandlung Krawany ein paar Meter weiter vorgefunden werden können:
Zusätzlich sollten doppelseitige A5-Postkarten im Museum und im Ort aufliegen, die Vorder- wie die Rückseite der orientalischen Medaille abbilden:
Vorderseite:
Rückseite:
Alternativ dazu könnten die Karten auch in zwei einseitigen Versionen gedruckt und die Rückseite als Einladungskarte mit Programmvorschau verwendet werden.
(NB: Dieses Projekt wurde nicht realisiert)