Natalie Deewan + Judith Unterpertinger
Beitrag für das Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft "Anklaenge" 2019, Thema: "Sicherheit".
FORMALITÄTEN
I
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mit großem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass in diesem Bereich absolut nichts mehr geht. Schade! In der Zwischenzeit haben Ihre zwei Kolleginnen meine Nachhilfe in Prozentrechnen1 und Steuersparangebote angenommen. Die Summe von Brüskierung und Ausdruck von Geringschätzung ist nicht mehr verhandelbar. Bitte verstehen Sie, dass mein Budget eine weitere Aufstockung absolut nicht zulässt, da ich ständig unterbrochen werde. Zum anderen kann ich mich ja nicht darauf verlassen, „dass mir etwas genommen wird“ noch „dass mich jemand reinlegen will“. Es ist gänzlich unergründlich, woraus du diese Schlüsse ziehst. Sei versichert, es gibt deinerseits absolut keinen Grund für diesen Ton mir gegenüber. Wie gesagt, bitte um Vorsicht. Ansonsten wechseln wir ohne Rückmeldung zum neuen Sujet. Im Falle des Zustandekommens der Produktion wäre es doch ewig schade, wenn Sie nicht dabei sein könnten.
Ich bin so froh, dass dieses Projekt stattfindet. Es wäre unglaublich schade all das zu verlieren. Sei mir versichert, niemand hat das Interesse, dich auszunutzen, dir etwas Böses zu tun. Ich bin ein sehr netter Mensch. ALSO: bitte: Es geht hier nicht darum, dir Geld wegzunehmen, sondern dass wir einen Schlussstrich unter den leidigen Kommunikationsfluss ziehen und einen diesbezüglichen Neubeginn nicht garantieren können & dürfen. Jedenfalls kann und will ich dieses Risiko nicht tragen. Das Wort kann bezieht sich darauf, dass niemand weiß, mit welcher Summe (sollte diese fällig sein) gefördert wird, wenn überhaupt gefördert wird. Wir müssen das so formulieren, zumal wir uns in einem sehr guten Produktionsstadium befinden, das berechtigte Zuversicht für den Erfolg Anlass gibt. Die nun gewählte Formulierung dient der Klarstellung, Punkt 7.1. wurde nun wunschgemäß wieder rückformuliert. Daher die Formulierung mit kann. Gerne kannst du das Wort „partiell“ einfügen, dann sind wir auf der sicheren Seite, und zwar („je nach Höhe... “) derzeit weit zwischen frech und dreist im roten Bereich. Warum, weil wir eben nicht wissen wie hoch die Förderung ist.
Die Struktur wird sich sehr bemühen, aber kann dir nicht versprechen, Ihnen ein professionelles Netz zu bieten und auf die korrekten Wege hinzuweisen um genau solche Agenden noch vor Weihnachten! zu besprechen, zu terminisieren und frei zu geben oder zu streichen. Sie hat nun nochmals nachgerechnet2 und hat mich heute informiert, dass sie die Rolle nur um des schönen Projektes willen eigentlich nicht machen kann. Das finde ich sehr schade.
Dazu möchte ich festhalten:
Jeder Schritt, jede Idee muss zuerst nochmals nachgerechnet3, vorbesprochen und dann frei gegeben werden. Bitte das ist ganz wichtig. Es ist wirklich essentiell, dass diese Arbeitsbereiche – ohne Gespräche darüber – korrekt eingehalten werden, sonst explodieren wir. Es muss alles neu durchgerechnet und abgewogen werden4. Ich bin dieser Tage daran, alle eventuellen Beteiligten durchzurufen / anzumailen, um mal rauszufinden, wer im Sommer Zeit hätte und sich bis Jänner die Zeit freihalten kann (ich rechne mal nicht damit), und dann werde ich wirklich ständig unterbrochen oder was anderes ist gaaaanz dringend und ich muss dann schnell das andere machen usw. ... Was passiert dann mit der halbfertigen Komposition? Sorry, dass ich da bitzelig bin: Müssen sich die Interpret_innen des Festivals, oder Tontechniker_innen, Sekretär_innen und sonstige Beteiligte auch selbst um deren Honorare kümmern?Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass mir nun bewusst wird, dass Ihnen das Geld eigentlich nicht zur Verfügung steht. Schade. Ich würde doch gerne alle Beteiligten, die sich momentan noch immer den Juli / August freihalten, dringendst informieren, bei diesem Projekt nicht mitzumachen und den Auftrag abzulehnen. DANKE.
II
So, Diandle ...
verzeih, dass ich mich erst jetzt melde. Ich war fast 10 Tage ziemlich außer Betrieb ( – ist das drinnen im Festivalbudget?)
Wie du dich sicher erinnerst, hätte ich ursprünglich sehr gerne eine Anzahlung geleistet. Und ehrlich gesagt, wundert es mich schon ein wenig, dass du nun meinen Teil des Auftrags, die Zahlung des Gesamthonorars für diesen Text von dir weist. So war das nicht gedacht. Was soll ich nun davon halten, wenn du schreibst, dass du meinen Teil der Abmachung gehalten und ein schönes Stück Musik geschrieben hast? Ja eh, nur haben wir eben nicht das Geld. In der Tat steht auf jedem Euro schon sein Verwendungszweck5 drauf ... und am Ende zahle wirklich ich die Rechnungen (muss das überhaupt sein?) bzw. kann das Geld von unseren Gesprächen abziehen.
Wir sind in einer etwas unglücklichen Situation ... Fakt ist, dass ich dir alle Freiheiten gelassen habe und das auch von Anbeginn an immer und immer wieder gesagt habe, das bezog sich aber – (Stichwort „Liebe“) – auf den finanziellen Teil der Abmachung. (Aber das ist eh klar, sonst würds ja keinen Sinn machen, oder?)
Im Grunde genommen ist die Frage des noch offenen Honorars nicht vorgesehen und ich tu mir echt schwer, 7 Wochen vor dem geplanten Aufführungstermin etwas Neutraleres, zum Beispiel die Liebe ;-) , nicht mehr – und auch nicht weniger, zum Inhalt des Textes zu machen. Das würde also bedeuten, dass „ihr beiden“ euch diese Geschichte ausreden sollt. Und genau deshalb hab ich auch euch beide kurzgeschlossen, damit „ihr“ euch besprecht und die untere Honorargrenze6 bzw. nach deinen Einwänden das Thema „Liebe“ als einigermaßen unverfänglich vorgeschlagen. Denn ich will ja, dass es was wird.
Ich habe gehofft / angenommen, dass ich als Auftraggeber nun halt ordnungshalber meinen Teil des Auftrags, eine Geschichte mit Hand und Fuß spätestens Anfang Mai an die Textdichterin überweise. Bis dahin sollte ich wieder liquide genug sein.
Nun – was soll ich sagen? Der Text schießt gleichsam das Positive in den Subventionszahlungen ab und das würde sich ganz klar gegen Sinn und Zweck dieses Auftragswerkes richten. Was ich bei dir als Komponistin bestellt habe. Was du aber abgelehnt hast - leider. Was leider diesmal wohl nicht wirklich geklappt hat7. Und du kannst mir auch glauben, dass es nix damit zu tun hat, dass ich den Wert ihrer Arbeit anzweifle. Das geht sich weder zeitlich noch finanziell aus für mich. Ja - ich find’s auch schade, dass ich sehr viel Zeit und Arbeit investiert habe. Wie dachtest du damit umzugehen? Gib mir kurz Bescheid, dann bringen wir’s über die Bühne.
Schade, dass es so gekommen ist. Von jetzigem Standpunkt aus kann ich nur sagen, dass in Summe zu 100% klar sein sollte, was offensichtlich unbekannt war / ist: ein Vertrag wäre hervorragend. Nicht nur, weil ich’s cool finde, sondern wie sagt man so schön: „Es lempert sich z’samm“ …
Aber hätte / wäre / würde hilft jetzt nichts. Tja, solche Dinge passieren eben, und oft dann, wenn ich sie am wenigsten erwarte.
So – und das habe ich stets betont – jetzt muß ich ins Bett ...
Deiner fristgemäßen Rückantwort entgegensehend verbleibe ich –
hurra!
Originalzitate aus dem Schriftverkehr zwischen verschiedenen Auftraggebern und einer Auftragnehmerin aus den Jahren 2011 – 2017, montiert im Sommer 2019.
1 vgl. z.B. Kulturbericht Österreich 2017: Musikförderung Einzelpersonen + Stipendien: € 625.600. Männer: 69 %, Frauen: 31 %. In: Kunst- und Kulturbericht Österreich 2017, S. 439 ff. https://www.kunstkultur.bka.gv.at/documents/340047/394491/KuKu-Bericht+2017/2 Werke für 2 Instrumente / 1–10 Min.: ab € 2.400; (...) vgl. Mindesthonorarsätze bei Kompositionsaufträgen der Fachgruppe Komposition in der Sektion Musik der Hauptgruppe VIII (Kunst, Medien, Sport, freie Berufe) der Daseinsgewerkschaft (gültig ab Juni 2019).
3 Monatliche Fix- und Lebenshaltungskosten: 303 Pfund (ca. 360 Euro) Miete in London; 50 Euro Miete für Lager in Wien; 50 Euro Sozialversicherung (Pensionsversicherung wollte ich ab diesem Jahr einzahlen, aber daran ist finanziell gar nicht zu denken im Moment); ca. 120 Pfund (ca. 140 Euro) Lebensmittel, Toilette-Artikel; ca. 100 Pfund (ca. 120 Euro) öffentliche Verkehrsmittel (Flugkosten ausgenommen), Konzertbesuche, CD- und Buchkäufe, Internet, Telefon, sonstiges Leben. Gesamt: ca. 720 Euro. zit. aus: Notfall-Unterstützungsersuchen an den SKE-Fonds vom 18.4.2011
4 Die Fachgruppe Komposition empfiehlt, eine niedrigere Honorierung in keinem Fall zu akzeptieren: Bei unangemessenen niedrigen Finanzierungsangeboten bleibt immer noch die Möglichkeit, die Komposition als Geschenk herzugeben – zugleich aber einen Spesenersatz zu verlangen. Anmerkung der Fachgruppe Komposition in der österreichischen Gewerkschaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe (Sektion Musik) zu den Arbeitshonoraren für Auftragskompositionen, Vorstandssitzung vom 16.2.2007.
5 Wie viel Prozent vom Gesamtbudget eines Festivals landen eigentlich bei den KomponistInnen? Das ist nicht leicht herauszufinden. Eine mündliche Quelle schätzt den Anteil auf „maximal 5 %“.
6 Festivalzuschlag: 25 %. Vgl. Mindesthonorarsätze bei Kompositionsaufträgen der Fachgruppe Komposition in der Sektion Musik der Hauptgruppe VIII (Kunst, Medien, Sport, freie Berufe) der Daseinsgewerkschaft (gültig ab Juni 2019).
7 vgl. z.B.: Kulturbericht Wien 2018 / Musik: Jahresförderungen: 21,0 % / Fördersumme: € 5.401.300 / Frauen: 30 %, Männer: 70 %; Projekte: 2,5 % / FS € 650.400 / Frauen: 33%, Männer 67 %; Festivals: 5,3 % / FS € 1.364.500 / Frauen: 13%, Männer 87 %; In: Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsbericht der Stadt Wien 2018, S. 19. https://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/kunstbericht2018.pdf
Erstlesung beim 23. Komponistenforum Mittersill kofomi, am 17.9.2019, 19h, Versammlung II, im Felberturmmuseum / Altes Schulhaus Mittersill.